Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Mittwoch, 20. Juni 2012

Rezension: Michael Weins, Delfinarium




Delfinarium
Autor: Michael Weins
Alternativtitel: Die Delfinfrau
Erscheinungsjahr: 2009
Verlag: Mairisch
Genre: Jugendliteratur, Mystery



Ich schaue Susann an. Ich kann ihr Gesicht nicht richtig erkennen. Ich frage mich, ob sie das kennt, dass man vor einem Kornfeld steht und den Duft riecht, inhaliert, man fühlt sich weit und offen, man guckt in die untergehende Sonne und fühlt Sehnsucht, erinnert sich wehmütig an vergangene Sommer, als man irgendwie noch dichter dran, noch glücklicher war, noch enger, wahrer, aber es ist unwiederbringlich vergangen: Man steht von einer sanft schmerzenden Sehnsucht erfüllt und man denkt, dass die früheren Sommer irgendwie besser waren, erfüllter, damals war man noch ein Kind oder ein Jugendlicher und man lief irgendwo in den Ferien barfuß die staubigen Feldwege entlang, es wurde Abend und man stand am Rand des Kornfelds und alles war Licht und Freiheit und Heimat und Geruch, aber dann fällt einem ein, dass man auch damals schon Sehnsucht nach etwas Vergangenem hatte, als man am Feldrand saß und atmete, und wenn man sich wirklich ganz genau erinnert, weiß man eigentlich, dass man sich auch damals wehmütig an noch weiter zurückliegende Sommer und Kornfelder erinnerte. Dass es wohl immer so sein wird, dass man dasteht und sich nach etwas sehnt, das nicht da ist, dass Kornfelder einfach immer Sehnsucht auslösen, genau wie das Meer, man hat immer Sehnsucht, wenn man auf das Meer blickt, man kann gar nicht sagen, wonach oder wozu. (Aus: Delfinarium, Michael Weins, Mairisch Verlag)

Es ist schwer, sich für ein Zitat aus Delfinarium zu entscheiden. Denn es gibt beinahe auf jeder Seite eines, welches man problemlos zum zitieren benutzen könnte. Michael Weins gehört, ohne Frage, zu den ganz großen Poeten der deutschen Sprache. Auch alleine aus dem Grund, weil sich seine Texte so locker und unkompliziert lesen. Und dann übermittelt er auch noch eine ganz besondere, kaum zu beschreibende Philosophie, die in dieser Form eigentlich nur der japanische Schriftsteller Haruki Murakami zu übermitteln weiß. Bei Weins rätselt man über seltsame Dinge, man weint, man lacht oder man schwelgt einfach in Erinnerungen. Doch genau wie das von mir ausgewählte Zitat gilt: Nach welchen Erinnerungen schwelgt man eigentlich? Ich empfand bei Delfinarium unglaubliches Fernweh. Vermutlich nach einer Welt, die gar nicht existiert. Und obwohl Delfinarium sehr leicht zugänglich ist, wird an diesem exotischen Werk vermutlich nicht jeder gefallen finden. Es ist ein Roman für eine ganz spezielle Generation. Für die unentschlossenen und die Tagträumer. Für eine Generation, die nach eben jenem Alten Land sucht, von dem Weins in seinem Roman berichtet. Es ist ein kleines Märchen über einen jungen Mann, der nach seinem Platz in der Gesellschaft sucht, und sich bisher einfach nur hoffnungslos verloren fühlt.

Protagonist der Geschichte ist der zwanzigjährige Daniel Martin. Daniel lebt, gemeinsam mit seinem Vater, der in einer tiefen Midlifecrisis steckt, in einem verschlafenen Dorf in Hamburg. Die Idylle ist perfekt. Die Elbe ist in Reichweite, Obstbauern besiedeln das Land. Aber die Idylle trübt. Die Airbus Gesellschaft will das Land plätten. Die Felder müssten zum Beispiel einer Landebahn weichen. Natürlich würden die Anwohner großzügig von der Gesellschaft entschädigt werden. Während im Dorf eine riesige Debatte herrscht, in der es um Tradition und Moderne geht, möchte sich Daniel aus all den komplizierten Dingen, mit denen sich die Erwachsenen rumplagen, raushalten. Sein eigenes Leben ist bereits kompliziert genug. Was Daniel jedoch noch nicht ahnen kann, ihn erwartet der Sommer seines Lebens. Eine unfassbare Geschichte wartet auf ihn. Als er ahnungslos den Job annimmt, sich um eine geistig verwirrte Frau zu kümmern, werden Geschehnisse in Gang gesetzt, die nicht mehr aufzuhalten sind. Daniel soll sich um Susann Windgassen kümmern. Susann erlitt durch Komplikationen bei der Geburt ihres Kindes einen mentalen Schaden. Seitdem spricht sie nicht mehr, scheint geistesabwesend zu sein. Daniels Misere beginnt bereits, als er sich lediglich bei Henry Windgassen, dem Ehemann von Susann, vorstellt. Durch eine Verwechslung ist Daniel Martin fortan unter Martin Daniel bekannt. Er soll Susann ausführen. Henry ist mit dem Kind und seinem Job bereits überfordert. Die Bezahlung sei gut, er müsse Susann eigentlich auch nur ins Delfinarium im Zoo begleiten. Denn seit dem Vorfall fährt sie total auf Delfine ab. Beinahe schon fanatisch.
Eines Tages im Zoo, als Daniel Susann kurz alleine lässt, näher sich ihr ein unbekannter Mann. Daniel eilt herbei und fragt, was der Mann möchte. Der geheimnisvolle Unbekannte stellt sich als Max Braun vor, und behauptet tatsächlich, Susann sei seine verschwundene Ehefrau Marie. Und tatsächlich liefert er Beweise, denen Daniel kaum widersprechen kann. Daniel will der Sache auf den Grund gehen. Gemeinsam mit seiner guten Freundin Petra will der das Mysterium lösen. Ist Susann wirklich Marie? Welcher der beiden Ehemänner tischt Daniel ein Märchen auf? Und wäre die Geschichte nicht schon kompliziert genug, beginnt Daniel, Gefühle für Susann zu entwickeln. Für alle Beteiligten steht eine surreale Reise durch ein geheimnisvolles Hamburg an. Und wer weiß, vielleicht hat der Oberalte des Alten Landes ja eine Lösung für all die Geschehnisse.

Es ist kein Geheimnis, Michael Weins liest Murakami. Das Zitat zur Eröffnung in seinem dritten Roman Lazyboy stammt aus Hard Boiled Wonderland und das Ende der Welt.
Und genau so sehr finden sich in Delfinarium teilweise Elemente aus Kafka am Strand.
Allerdings ist Weins kein Dieb oder Möchtegern. Sein eigener Still ist stets zu lesen. Er benutzt Murakami als Vorbild. Das war es auch schon. Alleine das reicht aber bereits aus, um ein außergewöhnliches Werk zu erschaffen. Und das liegt ganz besonders daran, wie Weins sein Hamburg beschreibt. Für Weins ist es das Alte Land. Als Schauplatz dient eine verschlafenes Dorf an der Elbe. Weins Beschreibungen lesen sich, als würde er über einen Ort am anderen Ende der Welt berichten. Es ist eine Eigenschaft, die ich bei so vielen deutschen Autoren vermisse. Ich fühle mich selten verbundenen mit deutschen Orten. Dabei muss ein Autor auch immer in gewissen Maßen ein Lokalpatriot sein. Und hier punktete Weins das erste mal bei mir. Ich konnte das Meer förmlich riechen, hörte es rauschen. Und inmitten dieser seltsamen Welt, befindet sich ein zwanzigjähriger Junge. Und da erwischte mich Weins zum zweiten mal. Denn beinahe immer wieder fand ich mich selbst in Daniel wieder. Daniel fühlt sich verloren. Mit der Schule hat er längst abgeschlossen. Hat sich Pläne gemacht, sie aber nie in die Tat umgesetzt. Er möchte sich am liebsten aus allen Angelegenheit heraushalten. Er kann nie für eine Sache Partei ergreifen. Kann sich nicht auf eine Seite stellen. Er kann sowohl die Ansichten der Anwohner, als aber auch jene von Airbus nachvollziehen.
Bei seinem, wie er vermutet, einfachen Nebenjob, wird er aber, ob er will oder nicht, vor großen Entscheidungen gestellt. Das geht so weit, bis Daniel völlig die Kontrolle über sein Handeln verliert.
Nicht einmal seine langjährige Freundin Petra, die das komplette Gegenteil seines Charakters darstellt, hat noch die Möglichkeit, ihn von seinen Entscheidungen abzuhalten.

Weins studierte Psychologie. Nach dem, was ich so las, übt er sogar den Beruf des Psychologen aus. Und seinen Charakteren sieht man seine berufliche Herkunft immer wieder an. Sie haben alle ihre Probleme. Kein Charakter ist auch nur in irgendeiner Form normal. Kein Charakter? Das wäre falsch. Die normalste Person von allen Charakteren ist in dieser Geschichte Susann/Marie. Nur sie ist in der Lage, frei zu denken. Unabhängig zu sein. Sie geht einfach ihren Weg. Auch wenn sie nicht sprechen kann, und geistig verwirrt zu sein scheint. Aber die Frage ist viel mehr, die man sich vermutlich auch am Ende stellt, spielt sie diese Rolle vielleicht sogar nur? Vielleicht hat Susann ganz einfach aufgehört, an dieser Welt teilzuhaben. Worauf ich hinaus will, Weins entwirft Charaktere mit schweren Lastern, die aber beinahe hauptsächlich aus Alltagssorgen bestehen. Diese können irgendwann so enorm werden, dass sich vielleicht einer dieser Personen denkt: Hm, wieso sollte ich dieses Spiel überhaupt weiterspielen? Ich sehen da keinen Sinn drin.
Praktisch ergeht es uns allen so. Mir würde spontan keine Person in meinem Umfeld einfallen, die wirklich völlig sorgenfrei lebt. Wir alle tragen halt unsere Zwänge und Laster.
Trotzdem schafft es Michael Weins immer, den Leser zu unterhalten. Es ist der trockene Humor, die Situationskomik, die trotz der ernsten Thematik dem Leser immer ein Lächeln stehlen kann.


Eine melancholische Geschichte über das Fernweh

Ein ganz großes Lob geht an den Mairisch Verlag. Der kleine unabhängige Verlag aus Hamburg macht deutsche Literatur wieder salonfähig. Modern und, ganz wichtig, jung. Michael Weins ist kein Teenager mehr, aber er spricht die Sprache aller jungen Leute, die in irgendeiner Weise auf der Suche nach ihrem Lebensinhalt sind. Delfinarium ist eine verträumte Geschichte. Und das Ende dieser Geschichte verbreitete eine liebliche Melancholie in mir. Der sympathische Hamburger hat seiner Stadt eine einmalige Liebeserklärung gewidmet. Das Alte Land scheint gar nicht so fern zu sein. Ich glaube sogar fest daran, dass es existiert. Wir alle sind vermutlich auf der Suche nach diesem Ort. Und genau wie Daniel aus dem Roman, der erst ganz am Ende allmählich sein Schicksal akzeptiert, so müssen auch wir erst unser persönliches Altes Land  finden, um unsere Bestimmung endlich zu akzeptieren.
Um all die schweren Worte mal kompakt zusammenzufassen: Delfinarium ist ganz große Literatur. Auf etwas über 200 Seiten erfahren wir viel über die verschiedensten Menschen und ihre Sorgen. Und vermutlich wird sich jeder Leser in einen von Weins Charakteren wiederfinden. Und wenn wir dann plötzlich einen mysteriösen sowie schweigsamen Hund treffen, der uns auf leisen Pfoten folgt, oder auf einem einsamen Landweg den Oberalten vom Alten Land  treffen, wissen wir, bald haben wir das Ziel unserer Bestimmung gefunden. Aber bis dahin können wir uns ja auch noch ein wenig die Zeit vertreiben. Und mit solch guter Literatur ist das gar nicht mal so schwer.


Wertung: Fünf Dante (Sehr Gut)


Ich starre auf dieses gezähmte Meer hinaus und sehe nichts. Ich denke daran, dass, wenn ich nur weit genug schwimmen würde, irgendwann Skandinavien käme, Schweden und Finnland. Und noch weiter nach Osten liegt das Baltikum und von dort ginge es immer weiter bis nach Russland. Wie bei Raumschiff Enterprise: Unendliche Weiten. Ein Typ wie ich braucht dafür noch nicht einmal ein Weltall, da reicht schon die Ostsee. Ich stehe hier, und hier ist der Punkt, an dem sich die Welt nach Osten öffnet. (Aus: Delfinarium, Michael Weins, Mairisch Verlag)

Anmerkung:


Ich mache mit meiner Arbeit auf meinem Blog keinen Profit. Daher ist die Werbung, die jetzt kommt, völlig ungezwungen.

Alle Interessenten, die solch eine Literatur anspricht, sollten sich bei dem Mairisch Verlag mal genauer umsehen. Unterstützt den Verlag und seine Autoren. Lesungen finden meistens in Hamburg statt. Genauere Informationen findet ihr aber auf der Website.

Link: Mairisch Verlag

Freitag, 15. Juni 2012

Review: Moonrise Kingdom



USA 2012
Kinostart: 24 Mai
Regie: Wes Anderson
Darsteller: Edward Norton, Bruce Willis, Bill Murray, Tilda Swinton, Frances McDormand, Jason Schwartzman, Harvey Keitel, Jared Gilman, Kara Hayward
Musik: Alexandre Desplat
Lauflänge: Circa 94 Minuten
Genre: Arthouse, Tragikomödie, Liebesfilm, Abenteuerfilm
Label: Tobis Film
FSK: 12


Trailer:





Der neue Film von Wes Anderson (The Darjeeling Limited) eröffnete am 16 Mai 2012 die 65. Filmfestspiele von Cannes. Die Kritik war wohlwollend für den Film mit namhafter Besetzung und seltsamen Titel.
Moonrise Kingdom ist von Kern her erstklassiges Arthouse-Kino. Ein Film, der nur eine kleine Kinoauswertung erhalten hat. Ein Film, dazu gemacht, nach all den CGI und Big Budget Projekten der vergangenen Zeit, uns endlich mal wieder die Magie des Films näher zu bringen. So gesehen ist Moonrise Kingdom viel mehr eine Demonstration anstelle eines Films. Eine Demonstration, wie man einen guten Film dreht. Und das Geheimrezept ist eigentlich ziemlich einfach. Man benutze lediglich erfahrene Schauspieler und packt lediglich eine Handvoll Debütanten dazu. Und gewagt ist das Projekt gleich umso mehr, denn wenn es sich bei den Debütanten auch noch um Jungschauspieler handelt, besser gesagt, Teenager, kann so etwas ziemlich nach hinten los gehen. Aber auch hier bewies Anderson ein glückliches Händchen. Denn nie hätte ich gedacht, dass einmal eine der ergreifendsten Liebesszenen der Filmgeschichte, von zwei Teenagern dargestellt wird.

Erzählerisch geht Anderson einen sehr klassischen Weg. Sein wahres Können zeigt er dafür bei Kamerafahrten und den Dialogen. Eröffnet wird der Film nämlich von einem alternden Mann, der über ein verschlafenes Dorf in Neuengland berichtet (wir schreiben das Jahr 1965), tief verankert in der Seele von Nordamerika. Danach fährt die Kamera in ein Haus von einer Familie, die auf dieser Insel lebt. Wir können sie bei ihren langweiligen Aktivitäten beobachten. Noch machen die Szenen keinen großen Sinn, ja, wir fragen uns sogar, was soll das alles? Doch schnell bemerkt man: Da stimmt etwas nicht. Die Familie scheint sehr Spleenig zu sein. Die kleinen Söhne hören allesamt eine seltsame Schallplatte, der Vater blickt gelangweilt drein, die Mutter scheint ihren Ehemann zu betrügen und die Tochter beobachtet sie dabei aus der Ferne mit einem Fernglas. Einer der Höhepunkte auf dieser Insel dürfte vermutlich sogar der Wechsel der Gezeiten darstellen. Nach der Eröffnungsszene startet der Film dann allmählich durch. Und diese ganze, beinahe schon bittersüße Tragödie, beginnt mit dem Verschwinden eines rebellischen Scouts (Jared Gilman) einer Pfadfindergruppe. In einem hinterlassenen Brief kündigt er kurz und knapp bei seinem Scout Master (Edward Norton) den Dienst. Der einzige Sherrif der Stadt (Bruce Willis) wird verständigt um nach dem Ausreißer zu suchen. Allerdings findet die Suche bei den Stiefeltern keinen Anklang. Diese entschuldigen sich eher noch dafür, dass der Junge schon wieder Ärger macht, und bitten die beteiligten, sobald sie ihn gefunden haben, nicht wieder bei ihnen abzuliefern. Sam aber hat sich nicht vorgenommen zurückzukehren. Und alleine durch die Lande wandern wollte er auch nicht. Es war ein ausgeklügelter Plan, geschmiedet per Briefpost mit seiner Freundin Suzy (Kara Hayward). Ein Mädchen aus wohlhabenden Elternhaus. Ein Mädchen, welches ihre Mutter, die ein Verhältnis mit dem Sheriff zu haben scheint, stets mit einem Fernglas beobachtet. Allmählich setzt sich das Puzzle auch für den Zuschauer zusammen. Schon bald wird auf der verschlafenen Insel pure Anarchie herrschen. Und lediglich die große Sintflut kann die Apokalypse noch aufhalten.

Moonrise Kingdom profitiert sehr von den vielen, unterschiedlichen Schauspielern. Zumal Anderson nur Darsteller ausgewählt hat, die vielseitige Talente besitzen, und in der Lage dazu sind, Situationskomik auch glaubhaft zu spielen. Ganz besonders freute es mich daher, dass auch der Meister der Situationskomik, Bill Murray, mit von der Partie ist. Sein herrlich trockener Humor sorgte bei mir mal wieder für die meisten Lacher. Als betrogener Ehemann, badend im Selbstmitleid und mit einer unfassbaren Gleichgültigkeit, stellte er meinen Favoriten unter den routinierten Schauspielern dar. Was nicht bedeutet, dass Edward Norton als verwirrter Scout Master einer Pfadfindergruppe, oder Bruce Willis als Sheriff in der Midlifecrisis, einen weniger guten Job abgeliefert haben. Es ist die Mischung, die den Unterschied macht. Denn keiner der hochbezahlten Stars (Tilda Swinton spielt eine Minirolle als Jugendamt-Beauftragte und Harvey Keitel den Kommandanten der Pfadfinder) belegt  in diesem Werk die Hauptrolle. Sie alle liefern ihren Beitrag ab und spielen nach Andersons Vision und dem Drehbuch von Roman Coppola. Doch die eigentlichen Hauptdarsteller sind zwei ganz unscheinbare Figuren. Zwei junge Debütanten die überhaupt das Geschehen im Film möglich machen. Jared Gilman spielt den Ausreißer. Stets widersetzt er sich den Befehlen von Erwachsenen und will immer mit zuerst mit dem Kopf durch die Wand. Seine Stiefeltern haben ihn längst aufgegeben.
Kara Hayward spielt Suzy. Ein depressives Mädchen. Aufgewachsen als ältestes Kind einer großen Familie, bemerkt sie, wie ihre Eltern (beide Anwälte) sich immer mehr auseinanderleben. Und obwohl die Situation längst klar ist, wird in ihrer Familie eigentlich alles totgeschwiegen. Zwei Schicksale fanden also zueinander. Nach einer ausgiebigen Brieffreundschaft beschließen die beiden Teenager, gemeinsam abzuhauen und alles hinter sich zu lassen. Es entwickelt sich eine Romanze. Beide verlieben sich ineinander. Und zu Le Temps De L'amour von Francoise Hardy wird dann auch schon einmal in trauter Zweisamkeit hinter romantischer Kulisse geknutscht und gefummelt. Es ist die wohl prägnanteste Szene des ganzen Films und ist in keinster Weise beladen mit Kitsch. Die beiden jungen Schauspieler machen das alles so routiniert, als würde dies bereits ihr fünfter Film sein. Möge ihnen eine vielversprechende Karriere bevorstehen. Ähnlich überzeugt haben mich auch die ganzen Nebendarsteller, die kompletten von Jungschauspielern dargestellt wurden.

Erst gegen kurz vor Ende driftet Anderson des öfteren mal ein wenig ins Absurde ab. Was er durch herrlich schräge Szenen und einem tollen Showdown aber wieder ausgleicht. Mir hingegen ist das Ende etwas zu zahm, aber auch ich hätte keinem der liebenswürdigen Charaktere ein böses Schicksal gewünscht.
Untermalt werden die vielen tollen Szenen durch einen sehr klassischen Soundtrack, komponiert von dem französischen Komponisten Alexandre Desplat (The King's Speech). Ich kann daher auch nur jedem empfehlen, sich den kompletten Abspann anzuschauen.

Fazit:

Ich mag es selbst kaum glauben, aber Moonrise Kingdom ist mein erster Kinofilm, den ich 2012 bislang gesehen habe. Was das Kino angeht, so kann ich in diesem Jahr bisher den Offenbarungseid in diesem Punkt ablegen. Denn selbst von Moonrise Kingdom habe ich erst erfahren, nachdem ein Freund ihn mir empfohlen hat. Hier enden die Ersten Male aber nicht. Denn zusätzlich war dieser Film auch mein erstes Wes Anderson Wek. Und Moonrise Kingdom stellte wohl die beste Bewerbung dar, auch die restliche Filmografie des Regisseurs nachzuholen. Denn, nur wenige Filmemacher trauen sich wohl, das Finale auf einem Leuchtturm stattfinden zu lassen. So setzt sich der Film am Ende zusammen, genau wie die Musik, die auf der Schallplatte der Kinder gespielt wird. Erst am Ende werden alle Instrumente wieder zusammengefügt und in das Lied eingefügt. Und genau auf die gleiche Weise, setzen sich auch die vielen Fragmente, in die der Film aufgeteilt war, am Ende wieder zusammen. Denn nur so kann etwas Komplettes entstehen.

Moonrise Kingdom ist Kino in Reinkultur. Handwerklich nahezu perfekt, weckt er auf sehr nostalgische Weise Gefühle bei den Kinogängern, und erinnert sie daran, warum sie überhaupt noch ein Lichtspielhaus besuchen. Ganz praktisch, spielt der Film selbst in einer Zeit, wo dieses Wort noch ein Begriff war. Ich hatte unheimlich viel Freude bei diesem Ausflug in die Sechziger. Von so etwas bitte wieder mehr. Lediglich ein Film reicht nicht aus, um die geschundeten Seelen der Kinogänger wieder mehr zu ermutigen, das Haus für einen Gang ins Kino zu verlassen. Moonrise Kingdom ist aber schon einmal ein Anfang. Schöner können die Filmfestspiele von Cannes eigentlich nicht eröffnet werden.


Wertung:

8,5 von 10 Punkte


Mittwoch, 13. Juni 2012

Ein Blog der Tausend Herbste


Ein Blog, der einen sehr romantischen Titel trägt. Tausend Herbste. Was könnte sich dahinter verbergen? Steht doch gerade mal der Sommer vor unserer Haustür. Die Antwort auf die Frage ist ganz einfach. Hinter Tausend Herbste versteckt sich der neue Roman des britischen Romancier David Mitchell. Seine letzten Werke gewannen spielend meine Gunst. Und es ist nicht übertrieben zu sagen, er gehört zu den wohl talentiertesten Schriftsteller seiner Generation.

Der Rowohlt Verlag gründete den Blog, um die Wartezeit auf die deutsche Übersetzung seines neuen Romans zu verkürzen. Dieser trägt einen mindestens genau so romantischen Titel wie der Blog: Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet. In diesem Buch geht Mitchell, wie schon in Black Swan Green, einen komplett anderen Weg als bei seinen vergangenen Romanen. Es ist ein Historischer Roman. Mitchells erster. Und es ist auch gleich eine Rückkehr in den fernen Osten. David Mitchell kehrt nach Japan zurück. Dem Land, welches er so sehr verehrt. Und Mitchell wäre nicht Mitchell, wenn er aus dem geschichtlichen Thema nicht doch etwas völlig einzigartiges schaffen würde. Es ist eine Reise, in ein Land, welches besonders uns westlichen Menschen, vermutlich für immer verborgen bleiben wird.

Auch ich kann die Veröffentlichung kaum noch abwarten. Allerdings heißt es für Mitchell Fans Geduld, wenn sie nicht bereits die Originalausgabe aus dem Jahr 2010 gelesen haben sollten. Die deutsche Ausgabe wird nämlich erst am 07 September erscheinen. Bis dahin wird der von Rowohlt erstellte Blog aber stets aktuell gehalten. Das interessante Blog-Projekt beschreibt nicht nur die Entstehungsgeschichte des Romans, auch Interviews (darunter eines mit dem Autor persönlich), Hintergrundinformationen, und, ganz wichtig, alles Wissenswerte zur deutschen Ausgabe wird auf Tausendherbste veröffentlicht werden. Für Leser, nicht ganz so bewandert über die japanische Kultur, wird dazu auch noch etwas geschichtliches nachgeliefert. Auf die Inhalte will ich nun aber gar nicht weiter eingehen. Die werden auf dem Blog wesentlich detailreicher erläutert, als ich sie je beschreiben könnte.

Tausendherbste ist eine sehr schöne Art, ein Buch zu promoten. Ich hoffe, so etwas wird Nachahmer finden. Wie sehr ein Blog aber zu dem Erfolg eines Buches beitragen kann, bewies der DuMont Verlag bereits mit einer ähnlichen Aktion zur deutschen Ausgabe von Haruki Murakamis 1Q84.

Mehr von Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet  gibt es dann ab September auch hier auf Am Meer ist es wärmer.

Link zum Blog: Tausendherbste

Amazon: Die Tausend Herbste des Jacob de Zoet

Das Buch wird als Hardcover für 19,95 Euro, und Hörbuch für 24,95 Euro erscheinen.