Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Sonntag, 27. Juli 2014

Rezension: Wie der Wind sich hebt



Trailer






Japan 2013

Wie der Wind sich hebt
Originaltitel: Kaze Tachinu
Konzept und Design: Hayao Miyazaki
Regie: Hayao Miyazaki
Musik: Joe Hisaishi
Sprecher (Japanische Originalbesetzung): Hideaki Anno, Miori Takimoto, Hidetoshi Nishijima, Masahiko Nishimura, Stephen Alpert, Jun Kunimura
Lauflänge: Circa 127 Minuten
Genre: Anime, Biografie, Drama
Deutscher Verleih: Universum
FSK: 6



Ganze 6 mal kündigte der Großmeister der japanischen Zeichentrick-Kunst, Hayao Miyazaki, seinen Abschied als Regisseur an. 6 mal sollte er sich irren. Und auch bei seinem aktuellen Rücktritt musste Produzent und Freund Toshio Suzuki (sowohl als Ghibli Präsident als auch als Produzent mittlerweile zurückgetreten) ein wenig schmunzeln. Große Hoffnungen wollte er den Fans aber nie machen. Diesmal könnte der Abschied tatsächlich für immer sein. Somit sollte man das letzte Werk des 73 jährigen Miyazaki umso genauer betrachten. „Wie der Wind sich hebt“ ist nicht nur Miyazakis ernstester Film, es ist auch einer der ungewöhnlichsten Filme, die das Studio Ghibli je hervorgebracht hat. „Wie der Wind sich hebt“ sich hebt ist die melancholische Reise zweier Männer, die sich ihren ganz großen Traum erfüllen wollen.

Schon in seiner Kindheit träumte der junge Jiro vom Fliegen. Pilot will er werden, doch seine Augen sind schlecht, er muss eine Brille tragen. In seinen Träumen begegnet ihm ein großer Mann, der Flugzeugkonstrukteur Giovanni Battista Caproni. Caproni nimmt Jiro mit auf eine Reise in eines seiner Flugzeuge. Caproni erklärt Jiro, um seinen Traum zu leben, müsse er nicht unbedingt Pilot werden. Wäre es nicht sogar viel schöner, diese Maschinen zu erschaffen? Aufgewacht aus diesem seltsamen Traum, ist Jiro sich sicher, er will ebenfalls ein so begnadeter Konstrukteur werden wie Caproni. Hier beginnt die Geschichte von Jiro. Hayao Miyazaki nimmt den Zuschauer mit auf eine Odyssee die sich auf über 15 Jahre erstreckt. Es ist das Leben von Jiro Horikoshi, dem Erbauer der Mitsubishi A5 und der Mitsubishi A6M Zero. Jenes Model, welches zum Höhepunkt des Zweiten Weltkrieges unter anderem Pearl Harbor angegriffen hat.

(Quelle: Manga UK)

„Wie der Wind sich hebt“ hebt  ist ein Film, der es einem ziemlich schwer macht, ihn zu besprechen. Es fängt schon bei der Vorlage an. Diese basiert nämlich auf einen kurzen Manga von Hayao Miyazaki selbst. Geplant hatte Miyazaki allerdings eine Fortsetzung zu Ponyo. Es war wieder einmal Toshio Suzuki, der Miyazaki empfohlen hat, sein eigenes Werk zu adaptieren. Doch damit nicht genug. Der Film basiert nämlich auch lose auf den japanischen Roman "Kaze Tachinu" (Englisch: The Wind has Risen) des bekannten japanischen Autors Tatsuo Hori. Miyazaki verschmilzt Biografie mit Fiktion. So waren Jiro Horikoshi und Giovanni Battista Caproni zwar reale Personen, sie vermischen sich jedoch mit der typischen Ghibli Formula. Auch wenn Miyazaki viele historische Ereignisse aufgreift (zum Beispiel das Kanto Erdbeben von 1923, oder den zweiten Weltkrieg), so ist „Wie der Wind sich hebt“ nur zu 50% als Biografie oder Historiendrama zu bezeichnen. Ja, Hayao Miyazaki hat sogar noch einen Castorp im Film untergebracht, die wohl abstrakteste Figur des ganzen Filmes. Ein Castorp der des öfteren den Zauberberg von Thomas Mann erwähnt. Ob sich jener Hans Castorp aus Manns Bildungsroman in Hayao Miyazakis Film geschlichen oder verirrt hat, wird wohl aber leider sein Geheimnis bleiben.

Beinahe könnte man schon sagen, es handle sich bei „Wie der Wind sich hebt“ um einen typischen Ghibli Fantasy-Film. Aber das "Könnte" sollte man dabei sehr wohl beachten. Gerade im Kontrast zu Miyazakis letzten großen Filmen wie Ponyo, Chihiro oder Prinzessin Mononoke schlägt „Wie der Wind sich hebt“ einen ganz anderen Ton an. So einen ernsten Film hat Miyazaki in seiner Karriere noch nicht gemacht. Vielleicht kann man als einen sehr düsteren und ernsten Miyazaki Film noch Nausicaä nennen, aber auch dieses Werk enthielt noch viel von seiner Ghibli-Magie. Natürlich ist „Wie der Wind sich hebt“ aber auch kein Kriegsdrama wie „Die letzten Glühwürmchen“. Miyazakis letzter Film ist einfach etwas komplett anderes. Mit großer Zuversicht kann ich aber sagen, der Film richtet sich an ein deutlich älteres Publikum. Besonders jüngere Zuschauer die mit Chihiro aufgewachsen sind, dürften ihre Probleme mit „Wie der Wind sich hebt“ haben. Diese könnten den Film zäh und langweilig finden, da er fast ausschließlich auf Dialoge und ruhige Szenen setzt. Doch selbst ältere Zuschauer könnten ihre Probleme mit dem Film bekommen. Man wird Miyazakis Leidenschaft zu den Flugzeugen nicht immer teilen, und auch die Passion des Hauptcharakters wird vielen vermutlich verborgen bleiben da Jiro Horikoshi vermutlich nicht jedem Kinogänger ein Begriff sein wird. Erst durch viel Recherche bin ich auf die vielen kleinen Hintergründe gestoßen (ein erneutes Hoch auf Wikipedia!), die viel mehr Licht ins Dunkel bringen und einige Fragen beantworten. Es kommt mir mittlerweile vor, als werfe Miyazaki mit vielen Insidern um sich, ohne das ich den ganzen Ereignissen je folgen konnte.
Aber genau das schätze ich an „Wie der Wind sich hebt“. Der Film hat, und das will ich gar nicht bestreiten, seine Längen und auch die Umgewöhnung (besonders wenn man an Ponyo zurückdenkt) dauert verhältnismäßig lange, aber sobald man sich in die Atmosphäre des Filmes hineingetastet hat, entfaltet dieser sich.

(Quelle: Otherworld, Blog)

Die Zeichnungen und Effekte sind wie immer beeindruckend. Ohne auf den von Hand gezeichneten Stil zu verzichten, schafft es das Studio Ghibli einmal mehr unglaublich schöne Effekte in den Film einzubauen. Ob es Jiros surreale, teilweise höchst beunruhigende Traumsequenzen sind, oder das große Kanto Erdbeben, auf einer großen Leinwand kam all die Pracht zur Geltung. Aber auch die ruhigen Hintergrundkulissen (eine riesige Wiese die vom Wind umspielt wird beispielsweise) konnten sehr überzeugen. Etwas blass ist diesmal erstmals der Soundtrack von Joe Hisaishi geblieben. Dies liegt aber nicht daran, dass Hisaishi sein Können verlernt hat. „Wie der Wind sich hebt“ ist an sich ein Film, der keinen großen Nutzen von dem Soundtrack macht. Erst gegen Ende gibt es ein typisch melodisches Stück, ein Theme, welches den Zuschauer begleitet. Dieses hört auf den Namen Naoko (Crossing Paths) und spätestens dieser Track ist der Beweis, zu welch genialen Musikstücken der Komponist noch fähig ist. Hauptsächlich dürfte aber der 1973 veröffentlichte Song "Hikōki-gumo" von Yumi Matsutoya im Gedächtnisbleiben. Der Song wurde auch für die Trailer benutzt.


Resümee

So wirklich beurteilen werde ich „Wie der Wind sich hebt“ wohl erst können, wenn ich ihn ein zweites mal gesehen habe. Ich mache kein großes Geheimnis daraus, dass ich mir von dem Abschlusswerk von Hayao Miyazaki einen furioseren Film gewünscht hätte, der vielleicht noch einmal auf alle Stärken der Vorgänger zurückgreift. Aber mit diesem Film hat Miyazaki sich noch einmal einen ganz großen Traum erfüllt. Und das gönne ich ihm sehr. 
In „Wie der Wind sich hebt“ steckt so viel mehr als er einem auf Anhieb offenbart. Das Werk ist vielschichtig und umfangreich. Vielleicht von der Lauflänge her etwas zu lang (nach „Das Schloss im Himmel“ der zweitlängste Ghibli Film). 
Oftmals verlor ich aber auch ein wenig den Überblick, weil es teils große Zeitsprünge gab, ohne das je erwähnt wurde, wie viele Monate oder Jahre nun in der Erzählung vergangen waren.
Aber mit seiner ungewöhnlich ernsten art schafft Hayao Miyazaki es, diese kleinen Probleme zu kompensieren. Es kommt mir beinahe vor, als fehlen dem Film sogar noch etliche Szenen. Oft dachte ich, Miyazaki habe noch wesentlich mehr geplant als das, was er uns gerade zeigt. Natürlich ist das nur eine Annahme von mir, aber vielleicht erging es ja mehreren Zuschauern so. Ein Storyboard kann sehr lang sein, welche Szenen es aber letztendlich in den Film schaffen, ist eine schwere Entscheidung.

Ich las kürzlich eine Kritik mit der Überschrift: "My Neighbor Totoro for Adults". Vielleicht kann man diese Überschrift wirklich so stehen lassen, denn mit Caproni und Castorp gibt es Figuren, die Protagonist Jiro führen und auf ihn acht geben. „Wie der Wind sich hebt“ ist die Geschichte zweier Männer, die erwachsen geworden sind. Und genau dieser Fakt macht diese Reise so ungewöhnlich. Und dennoch hinterlässt sie ein vertrautes Gefühl. So ist Hayao Miyazakis voraussichtlicher Abschied als Filmemacher viel mehr melancholisch als traurig anzusehen. Denn kaum ein anderer Filmemacher hinterlässt ein so beeindruckendes Werk wie er. „Wie der Wind sich hebt“ wird sich erst noch beweisen müssen. Ein Ghibli Film reift wie ein guter Wein, und ich bin mir sehr sicher, dass auch dieser Film noch seinen Platz im großen Ghibli-Museum finden wird. Übrigens, die Entscheidung der Academy, den Oscar an den wesentlich optimistischeren "Frozen" (Die Eiskönigin - Völlig unverfroren) zu vergeben, überrascht mich aufgrund der unterschiedlichen Thematiken wenig. Meiner Ansicht nach auch nicht unbedingt eine schlechte Entscheidung, da Miyazakis Werk weniger auf Unterhaltung, als viel mehr auf Anspruch wert legt. Ein Aspekt, der sowohl bei „Chihiros Reise ins Zauberland“ als aber auch bei „Das wandelnde Schloss“ noch weitaus mehr im Vordergrund stand.

Ein Lob geht übrigens noch an Universum Anime, die es geschafft haben, dem Filme einen relativ großen Kino-Release in Deutschland zu spendieren. Auch die deutsche Vertonung kann sich, auch ohne bekannte Namen, wieder einmal hören lassen. Man darf nie vergessen, Deutschland ist ein weniger Manga und Anime versiertes Land als seine Gegenstücke aus Europa (Frankreich, Italien England). Von den USA möchte ich erst gar nicht sprechen, aber die befinden sich zum Glück auch nicht in Europa.


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