Archiv: Rezensionen zu Literatur und Film

Dienstag, 6. Oktober 2015

Rezension: Girl on the Train (Paula Hawkins)






Großbritannien 2015

Girl on the Train
Autorin: Paula Hawkins
Originaltitel: The Girl on the Train
Veröffentlichung: 2015 bei Blanvalet
Übersetzung: Christoph Göhler
Genre: Drama, Psychologischer Thriller


"Ungefähr auf der Hälfte der Fahrt ist wieder irgendein Signal defekt. Zumindest nehme ich an, dass es defekt ist, weil es praktisch immer auf Rot steht. Fast jeden Tag halten wir dort an, manchmal nur für ein paar Sekunden, manchmal für endlose Minuten. Wenn ich in Wagen D sitze, so wie meistens, und der Zug vor dem Signal anhält, so wie fast immer, habe ich den perfekten Ausblick auf mein Lieblingshaus an den Gleisen: Nummer fünfzehn."



Jeder, der schon einmal mit dem Zug gefahren ist oder sogar jeden Tag mit dem Zug zur Arbeit pendelt, kennt dieses Gefühl. Man fährt an belebten Straßen, Bahnübergängen und natürlich Wohnhäusern vorbei, die an den Gleisen liegen. Man fragt sich, was für Autos diese Straßen täglich befahren, was für Geschichten an den Bahnübergängen erzählt werden und was für Menschen in den schönen Einfamilienhäusern mit zurecht gemachten Gärten leben.

Genauso geht es auch Rachel. Sie pendelt jeden Tag mit dem Zug von Zuhause zu ihrer Arbeitsstelle in London. So erzählt sie es zumindest ihrer Mitbewohnerin, ihrer Mutter und ihrem Exfreund Tom. In Wirklichkeit steht Rachels Leben aber, seitdem sie mit ihrem langjährigen Freund Tom schluss gemacht, hat auf dem Kopf.

Lange lebte Rachel zusammen mit ihrem Freund in dem schönen Haus an den Gleisen, an welchem sie nun jeden Tag vorbei fährt. Jedoch ist nun nicht mehr sie diejenige, die im Garten sitzt und ein Leben wie aus dem Bilderbuch führt, sondern die neue Frau von Tom, zuammen mit dem gemeinsamen Kind. Ein Kind war auch größtenteils der Grund, warum ihre Beziehung in die Brüche ging. Seitdem kommt Rachel nicht mehr vom Alkohol weg. Jeden Tag trinkt sie mindestens 2 Flaschen Wein oder 4 Dosen Gin Tonic aus dem Supermarkt gleich neben ihrer neuen Wohnung, wo sie aus der Herzensgüte ihrer Freundin Cathy heraus ein Zimmer bewohnen darf. Ihre Trinkerei hat Rachel bereits ihren Job gekostet, aber aus Stolz, oder auch Angst, fährt sie immer noch jeden Tag nach London und verbringt dort den Tag um niemandem von ihrer Schmach berichten zu müssen. Auf dieser täglichen Fahrt nach London entdeckt sie eines Tages ein Paar im Garten, ganz in der Nähe ihres alten Hauses. Die beiden stellen für sie das perfekte Paar dar. Sie ist groß, blond, schlank und sehr hübsch. Er ist ebenfalls ein attraktiver Mann, groß, dunkelhaarig und muskulös. Das perfekte Vorstadtehepaar also. Rachel beobachtet die beiden täglich aus ihrem Zug heraus und denkt sich Geschichten aus, wie ihr Leben wohl verlaufen mag.

Doch eines Tages verschwindet Megan, die attraktive Blondine plötzlich und Rachel fühlt sich verpflichtet bei der Suche zu helfen. Sie glaubt zu wissen, wie es Megan geht und hofft der Polizei bei der Suche helfen zu können.

So beginnt ein packender Thriller, bei dem man einfach mitfiebern muss. Nicht nur aus der Sicht von Rachel erzählt, bekommt man auch Einblicke in die Welt von Megan, dem Opfer und sogar von Anna, der neuen Frau an Tom's Seite.

Paula Hawkins wuchs in Simbabwe auf. Seit 1989 lebt sich jedoch in London und kennt sicher die vielen Züge, die täglich von und nach London fahren. Hawkins arbeitete lange als Journalistin, bevor sie mit "Girl on the Train" ihren ersten Thriller verfasste. Ein Thriller, der es, nach meiner Meinung, wirklich in sich hat. Er ist schwer aus der Hand zu legen, vor allem wenn man selbst häufig Zug fährt und sich genau denken kann was Rachel empfindet, während sie die Leute draußen beobachtet. Hawkins schafft es, dass man zugleich Sympathie und Antipathie für die Protagonistin empfindet. Das Buch schafft es sowieso oft zwiegespaltene Gefühle für die Charaktere hervorzurufen. Auf der einen Seite tut einem Rachel leid, was sie alles durchleben musste, was jetzt noch, im Laufe des Buches, auf sie zukommt. Aber auf der anderen Seite, kommt man nicht umher sie für ihre Taten selbst verantwortlich zu machen und sich zu denken: "Eigentlich ist sie an allem selbst Schuld". Es erinnert sehr an das echte Leben.

Girl on the Train wird in einer klaren Sprache erzählt, die man leicht verstehen kann und welche einem das Gefühl gibt selbst mitten in der Story zu sein. Die Protagonistin ist gut auscharakterisiert und durchlebt eine positive Entwicklung von der abgewrackten Junggesellin zu ihrer alten Pracht, als starke junge Frau zurück.

Ebenso können auch die anderen Charaktere im Buch überzeugen und sind sorgfältig beschrieben. Was mich ein wenig irritierte waren die doch an manchen Stellen anzufindenden sehr kurzen Kapitel. Dort war ich an ein Tagebucheintrag erinnert, dann aber auch wieder an einen ganz normalen Roman. Da es aber weder den Lesefluss, noch das Erzählen stört, ist es wohl einer eine "kosmetische" Angelegenheit.

Sich in das Verschwinden einer komplett unbekannten Person einzumischen kommt einem auf den ersten Blick sicher merkwürdig vor. Aber wenn man über Rachel's Beweggründe nachdenkt, ist es schon beinahe logisch, dass sie nicht nur in der Aussenseiter Rolle den Fall betrachten kann, sondern energisch versucht einzugreifen und den Menschen, die sie glaubt so gut zu kennen, zu helfen.



Resümee

Mir hat "Girl on the Train" sehr gut gefallen. Die ausgereiften Charaktere und das wirklich gut geschriebene Erstlingswerk von Paula Hawkins konnten mich für viele Stunden fesseln, und das nicht nur, weil ich selbst häufig Zug fahre und Rachels Gedanken sehr gut nachvollziehen kann. Wer gerne spannende Thriller aus der Sicht einer verwirrten, aber doch liebenswerten jungen, starken Frau liest, ist hier genau an der richtigen Stelle.

Gespannt warte ich auch schon auf die Verfilmung, denn DreamWorks hat sich direkt nach Erscheinen die Filmrechte zu "Girl on the Train" gesichert.



Eine Rezension verfasst von Ann-Sophie Gräwe für "Am Meer ist es wärmer".


1 Kommentar:

  1. Hallo! Ich fand das Buch auch total fesselnd und freue mich riesig auf den Film. Die Rezension gefällt mir übrigens sehr gut. Liebe Grüße, Corinna

    AntwortenLöschen