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Mittwoch, 28. Februar 2018

Rezension: Die Maske (Fuminori Nakamura)


Foto: © Kenta Yoshizawa 



Fuminori Nakamura - Die Maske

Originaltitel: Aku to Kamen no Rūru
Erschienen am 28.02.18 bei Diogenes
Übersetzung aus dem Japanischen: Thomas Eggenberg
Genre: Neo-Noir Thriller


Fuminori Nakamura nimmt uns diesmal mit in die tiefsten Abgründe einer wohlhabenden Familie. Alleine der Prolog zu seinem Roman, der in Japan im Januar in die Kinos kam (und ein internationaler Release nicht unwahrscheinlich ist, da es sich um eine aufwendige Produktion handelt), maßt eine unglaubliche Geschichte an. Eine langjährige Familientradition besagt, dass der jüngste Spross der Familie zu einem "Geschwür" erzogen werden soll. Ein Teufel, der Unheil in der Welt verbreiten soll. Eine absolute Konstanz scheint es bei dieser Tradition nicht zu geben, der junge Fumihiro Kuki hat aber das Unglück, dass sein Vater, ein Mann, der nicht nur Furcht einflößend ist sondern den er auch zutiefst verabscheut, ihn für dieses Schicksal auserkoren hat. Der alte Patriarch will sich damit einen eigenen Traum erfüllen der ihm verwehrt geblieben ist. Fumihiro soll Unheil verbreiten, schlechte Dinge tun und regelrecht Anarchie verbreiten. Aber nicht auf eine plumpe art, er soll das System von innen heraus zerstören. Bereits in jungen Jahren kommt Fumihiro hinter den Absichten seines Vaters. Als der Patriarch das Waisenmädchen Kaori für seine finsteren Pläne in die Familie aufnimmt, will Fumihiro alles tun, um das Mädchen zu beschützen. Es beginnt eine Geschichte, die sich über mehrere Dekaden erstreckt.

"Mein zweiter Sohn hat mit diesem Krieg zu tun", sagte er plötzlich, ohne mich anzuschauen. Im Fernsehen wurde über einen Bürgerkrieg irgendwo in Afrika berichtet. Gerade nannte der Nachrichtensprecher die Zahl der Toten. "Merk dir, was hier passiert. Sie sagen, es sei ein ethnischer Konflikt. Aber sie lügen. Man hetzt die Menschen absichtlich gegeneinander auf, und mein Sohn hat eine Konzession für den Wiederaufbau nach dem Krieg. Ich kann mich nicht erinnern, ihn zu einem Geschwür erzogen haben, aber dennoch benimmt er sich wie eines. Ich muss mir etwas einfallen lassen."

In Japan erschien "Die Maske" rund ein Jahr nach "Der Dieb" im Jahr 2010. Die Vergleiche zum Stil von Dostojewski sind nicht übertrieben. Wie der große russische Autor besitzt Nakamura eine eisige Kälte in seinem Stil, die direkt aus Sibirien kommen könnte. Gleichzeitig besitzt der Japaner eine bildliche Sprache, die während des Lesens nahezu lebendig wird. "Die Maske" kann daher oftmals bereits als ein sehr düsteres Märchen angesehen werden, welches in der modernen Gesellschaft spielt. Diese Geschichte, die im Prolog bereits bizarre Ausmaße annimmt  ist nur ein Bruchteil von dem, welche Wege Nakamuras Plot, der in mehrere Abschnitte und mehreren Zeitspannen aufgeteilt ist, noch zu bieten hat. Der Ich-Erzähler Fumihiro nimmt die Leser mit auf eine furiose Achterbahnfahrt, die trotz über 300 Seiten so schnell endet wie eine Kurzgeschichte.

Der Diogenes Verlag hat hier anscheinend Blut geleckt und setzt das Werk des Autors in deutscher Sprache glücklicherweise fort. Für die Übersetzung ist hier erneut der erfahrene Thomas Eggenberg zuständig (übersetzte mehrere Werke von Banana Yoshimoto), der Nakamuras fröstelnden Stil in eine flüssige deutsche Prosa übersetzt. Hoffen wir, dass Fuminori Nakamuras Werke sich im deutschen Buchhandel fortan etablieren werden.



Resümee

"Der Dieb" hat im letzten Jahr einen persönlichen Trend bei mir gesetzt und dieser hat sich in "Die Maske" fortgesetzt. Wenn ich Fuminori Nakamura lese, fangen meine Hände beim lesen an zu schwitzen. Es ist eine Geschichte, wo man als Leser stets auf alles gefasst sein muss und selbst immer auf der Lauer sein muss, ob der Autor ihn hier nicht auf eine falsche Fährte schickt. Angesiedelt zwischen einem Thriller im Neo-Noir Stil, gemischt mit einem Hauch Großstadtdrama und Coming of Age Geschichte, gelang dem Japaner hier ein erneutes Glanzstück. Beachten wir einmal nicht die Lobpreisungen im Vorfeld und konzentrieren uns auf seine Romane, die in Deutschland nun erhältlich sind. Darin steckt große Qualität, angefangen bei einer spannenden Geschichte bis hin zur Übersetzung und Präsentation. Nakamura wird von der US-Presse oftmals vorgeworfen, seine Werke seien nicht zugänglich genug um ein großes Publikum an Thriller-Fans anzusprechen. Diese Aussage kann ich erneut verneinen und hoffe, man wird sich nicht zu sehr von einigen Kritiken der englischsprachigen Presselandschaft blenden lassen. Sonst ergeht einem etwas, und darauf gebe ich sogar Brief und Siegel. Fuminori Nakamura ist Werbung für die japanische Literatur!


Doch die Aufkleber waren mir nicht wichtig. Ich tat nur so, um in den Augen meines Vaters wie ein Kind zu wirken. Ich wandte meinen Blick ab. Nein, er hatte mich nicht unter Kontrolle. Aber dann kam mir Kaori in den Sinn.
"Das reicht, geh", sagte er mit leiser Stimme. "Was guckst du denn so? So benimmt sich doch kein Kind. Du musst deine Rolle noch üben, Dummkopf. Etwas Einfältigeres als Kinder gibt es nicht."

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